Suizidhilfe: Arzt freigesprochen – aber Prozesskosten bleiben

Das Gerichtsurteil erhielt auch medial große Beachtung.
Das Gerichtsurteil erhielt auch medial große Beachtung.

Beitragsbild: © hpd

Der Berliner Hausarzt Dr. Turowski (68) erklärte gegenüber dem Humanistischen Verband nach seinem Freispruch: „Warum dieser Prozess stattfinden musste, ist mir bis heute nicht klargeworden. Ich habe einer sehr kranken Patientin von mir, die seit 28 Jahren massiv gelitten hat, geholfen aus dem Leben zu scheiden.“ Nach neun Prozesstagen hatte das Landgericht Berlin den Angeklagten am 8. März auch von jeder Schuld freigesprochen. Allerdings bleibt der unbescholtene, bescheiden wirkende Arzt trotz Freispruchs auf einer fünfstelligen Summe für seine Prozesskosten sitzen. Unterstützer wie der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) rufen deshalb zu Spenden auf.

Der Fall liegt fünf Jahre zurück, hat also mit dem 2015 verabschiedeten Suizidhilfe-Strafrechtsparagrafen 217 gar nichts zu tun. Die Staatsanwaltschaft war nach jahrelangen Ermittlungen vielmehr mit anderem schweren Geschütz aufgefahren wie dem Konstrukt einer „Tötung auf Verlangen durch Unterlassen“ oder gar einer direkten aktiven Sterbehilfe durch angebliches Spritzen eines Anti-Brechmittels. Um sich gegen solche komplizierten Angriffe zur Wehr zu setzen, bei denen eine jahrelange Gefängnisstrafe droht, sind erfahrene und clevere Verteidiger erforderlich. Und mit solchen müssen vorab Sonderkonditionen vereinbart werden. Dr. Turowski wurden gleich zwei Rechtsanwälte empfohlen, zu einem Tagessatz von je 1.500 Euro. Ursprünglich anberaumt waren nur wenige Prozesstage, aus denen wegen verschiedener Gutachten und Zeugenaussagen schließlich neun wurden. Das hat nun inkl. Mehrwertsteuer eine Gesamtsumme von ca. 30.000 Euro ergeben. Dafür ist die Staatskasse natürlich nicht bereit, die Kosten zu übernehmen – sondern erstattet für die erfolgreiche Verteidigung nur Anteile davon. Jedenfalls verbleiben Dr. Turowski, er ist unvermögend und inzwischen berentet, anstehende Kosten von mindestens 22.000 Euro.

Das Urteil des Landgerichts Berlin geht in diesem Fall davon aus, dass die Bestrafung eines Arztes nicht mehr zeitgemäß ist, wenn er es unterlässt, einen freiverantwortlichen Suizidenten nach Eintritt der Bewusstlosigkeit vor dem gewünschten Tod wieder zu beleben. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Dr. Turowski eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1984 ins Feld geführt. Diese gilt nach wie vor, auch wenn ein Patient seinen festen Willen zur Selbsttötung bekundet und dokumentiert hat. Das strafrechtliche Urteil wird seit 30 Jahren als paradox kritisiert. Seit 2009 steht ihm zudem zivilrechtlich das Patientenverfügungsgesetz entgegen. 

Bild: © hpd
Gita Neumann im Gespräch mit Dr. Turowski.

Dr. Turowski sagte nach dem Urteil, er habe moralisch „für die Liberalisierung der Suizidhilfe“ auch für anderen Ärzte gekämpft. Jetzt sei ihm erst einmal „ein Stein vom Herzen gefallen“. Gita Neumann, Mitglied des Bundespräsidiums des HVD, ruft zu Spenden für seine Prozesskosten auf: „Jemand der eine fortschrittliche und humane Rechtsprechung zur ärztlichen Suizidhilfe mit auf den Weg bringt, darf nicht noch mit enormen Prozesskosten allein gelassen werden. Erst dachten wir an Crowdfunding. Es werden sich hoffentlich auch noch weitere Organisationen beteiligen. Der Einfachheit halber haben wir dann aber Herrn Turowski gebeten, selbst ein persönliches Sonderkonto zu eröffnen. Auch wenn steuerabzugsfähige Spendenquittungen dafür natürlich nicht erhältlich sind.“

Das Konto lautet: Dr. Christoph Turowski, Spendenkonto, Postbank Berlin

IBAN DE67 1001 0010 0643 2911 24, Zweck: Prozesskosten Suizidhilfe

Zudem muss der eben Freigesprochene damit rechnen, dass der Kampf noch weiter geht. Wie eine Gerichtssprecherin am 8. März mitteilte, ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegen wird. Denn es steht einem Landgericht nicht zu, gegen ein – wenn auch 30 Jahre altes – BGH-Urteil in Widerspruch zu geraten. Dieses müsste folglich eine Aktualisierung erfahren, wozu sich der Fall Turowski anbieten könnte.

Gita Neumann bekräftigt den Spendenaufruf mit dem Hinweis: „Man muss erlebt haben, wie die Zuhörer*innen, darunter etliche seiner Kollegen und früheren Patient*innen und auch der Sohn der Verstorbenen nach der Freispruchverkündung geklatscht und ihn bejubelt haben. Dieser Zuspruch ist für Herrn Turowski sehr wohltuend und wichtig, er kann jedoch nicht alles gewesen sein. Ob sein Fall auch Auswirkungen auf die für dieses Jahr angekündigte Überprüfung des § 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht haben wird, ist nicht absehbar, aber auch möglich.“

Für Rückfragen steht Gita Neumann, im HVD-Bundesverband die Sprecherin für Humanes Sterben, zur Verfügung unter gita.neumann@humanismus.de

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