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Immer ein bisschen mehr gegeben

Es war eine der ersten von mehreren dienstlichen Reisen nach Polen. Mit dem Humanistischen Verband Berlin*, bei dem sie im März 1994 zu arbeiten begann und der im Laufe der Jahre zu einer zweiten Heimat für sie wurde, besuchte Halina Kazimierczak ihr Herkunftsland. Beim Treffen mit dem Landrat von Gnesen sollte sie dolmetschen, weil Geschäftsführer Manfred Isemeyer kein Polnisch sprach. Sie übersetzte, was ihr Vorgesetzter sagte. Und gestand hinterher auf Nachfrage mit einem Augenzwinkern, dass sie noch "ein bisschen was hinzugefügt" habe, was für Polen wichtig sei. Halina Kazimierczak war eine Diplomatin. Eine mit ebenso viel Fingerspitzengefühl wie Durchsetzungsvermögen. Sie baute Brücken und sorgte dafür, dass sie stehen und tragen.

Kurz vor der Wende, im Juli 1989, kam sie mit ihrem damaligen Mann und ihrer Tochter, zu der sie zeitlebens eine enge Verbindung hatte, nach Deutschland. Ihr Vater, einst leitender Angestellter in der Bezirksmolkerei in Krappitz, wo auch die gelernte Bürokauffrau ihre ersten Berufserfahrungen sammelte, war bereits in Berlin. Sie zog nach Neukölln, besuchte Deutschkurse und bildete sich weiter. Schließlich bewarb sie sich beim Humanistischen Verband Berlin. Sie begann als Bürokraft, wurde später Sachbearbeiterin in der Finanzbuchhaltung. Dass sie diese einmal leiten, die Einführung der Bilanzierung und den Wechsel vom Verein zur Körperschaft des öffentlichen Rechts begleiten würde, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Von ihren Fähigkeiten als Buchhalterin aber war sie überzeugt; sie überzeugte schließlich auch die Geschäftsführung des Verbandes.

Freundlich, hilfsbereit, kreativ, aber auch bestimmt – so lernten sie viele Kolleg_innen kennen. Mit Finanzfragen hat jedes Projekt im Verband Berührung. Entsprechend kannten zahlreiche Mitarbeiter_innen Halina Kazimierczak, mochten und schätzten ihre herzliche und unterstützende Art. Mit einigen war sie auch privat eng befreundet.

Sie, die selten nein sagte, wenn man sie um etwas bat, und keine Herausforderungen scheute, machte stets mehr, als ihre Stellenbeschreibung vorsah. Vier Jahre lang, von 2010 bis 2014, engagierte sie sich auch im Betriebsrat.

Halina Kazimierczak bewegte viel im Humanistischen Verband. Bildungsreisen und Begegnungen mit säkularen Organisationen in Polen organisierte sie mit. Ein deutsch-polnischer Jugendaustausch kam vor allem durch ihr Engagement zustande. Auch die enge Verbindung zwischen den Berliner Humanist_innen und den polnischen Rationalist_innen war auf ihre Eigenschaft als Brückenbauerin zurückzuführen.

Ihre polnischen Wurzeln gehörten zu Halina Kazimierczaks Persönlichkeit. Sie liebte polnische Literatur und Musik und ist immer wieder dahin gereist, wo sie ihre Wurzeln hatte. Ihre Herkunft trug sie stolz in ihrer Sprache, das Polnische schwang im Hintergrund immer mit. Am Ende träumte sie – so erzählte sie es vertrauten Menschen – auf Deutsch.

In ihrem Büro hing eine zweisprachige Holztafel. Sie ist von Jacek Kowalski, dem Landrat im polnischen Gnesen, für den sie bei ihrer Übersetzung viele Jahre zuvor "ein bisschen was hinzugefügt" hatte. Es ist ein Glückwunschschreiben zum 100-jährigen Bestehen des Humanistischen Verbandes 2005. Darin würdigt Kowalski das humanistische Engagement für die deutsch-polnische Freundschaft. Wenn man ehrlich ist, gebührte diese Würdigung vor allem Halina Kazimierczak. Sie galt und gilt einer Frau, die immer noch ein bisschen hinzugefügt und mehr getan hat, als man von ihr erbat.

Halina Kazimierczak wird uns fehlen. Wie sehr, werden wir erst in den kommenden Wochen und Monaten begreifen. Jeden Tag ein bisschen mehr.

*heute Humanistischer Verband Berlin-Brandenburg