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HVD Berlin-Brandenburg KdöR zeichnet Offenen Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn

Sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn,

Am 20. März fand in Berlin eine Kundgebung mit dem Titel "Gesundheit ist ein Menschenrecht – Zugang zu Gesundheitsversorgung für Alle" am Brandenburger Tor in Berlin statt. Ein breites Bündnis von 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Wohlfahrtsverbänden hat mit dieser Aktion Aufmerksamkeit dafür geschaffen, dass hunderttausende Menschen in Deutschland keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Tagesschau.de(www.tagesschau.de/inland/krankenversicherung-105.html)  der WDR, RTL und rbb berichteten anlässlich der Kundgebung über das Thema. 

Täglich kommen Frauen, Männer und Kinder in zivilgesellschaftliche, oft ehrenamtlich betriebene Anlaufstellen in ganz Deutschland, um notwendige medizinische Versorgung zu erhalten, die sie auf anderem Wege nicht bekommen können.

Betroffen sind Asylsuchende, die in den ersten 15 Monaten nur einen eingeschränkten Anspruch auf Gesundheitsversorgung haben. Dieser liegt unter dem Niveau der gesetzlichen Krankenkassen. Auf die Behandlung chronischer Krankheiten besteht beispielsweise kein Anspruch. Dabei ist der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung bereits so definiert, dass das medizinisch Notwendige nicht überschritten werden darf. Auch wenn in Einzelfällen die Behandlung oftmals durchgesetzt werden kann: Bewusst wird hier vom Gesetzgeber der Anspruch unter das medizinisch Notwendige gesenkt.

Menschen ohne Papiere und ihre Kinder haben den gleichen eingeschränkten Anspruch wie Asylsuchende. Vor einem Arztbesuch müssten sie jedoch zum Sozialamt, um einen Krankenschein zu beantragen. Das Sozialamt ist verpflichtet, eine Person bei der Ausländerbehörde zu melden, wenn sie keinen rechtmäßigen Aufenthalt nachweisen kann. Damit droht eine Abschiebung. Arztbesuche werden daher vermieden, bis die Krankheit zu einem Notfall wird, der im Krankenhaus behandelt werden muss. Dies führt zu unnötigem Leiden und oftmals zu Chronifizierungen.

Für viele Menschen mit geringem Einkommen, insbesondere für Selbständige, sind hohe Krankenversicherungsbeiträge eine finanzielle Belastung. Wenn sie Beitragsschulden haben, bekommen sie bis zur kompletten Rückzahlung nur eingeschränkte Versicherungsleistungen.

Zunehmend kommen auch Menschen aus anderen Ländern der EU in die Anlaufstellen. Rechtliche Einschränkungen, administrative Hürden und mangelnde Information bei Gesundheitspersonal und Patient(inn)en führen dazu, dass prekär beschäftigte oder erwerbslose EU-Bürgerinnen und –Bürger und ihre Kinder häufig keine Möglichkeit haben, die medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen.

Diskriminierungen durch Gesundheitspersonal und Sprachbarrieren behindern darüber hinaus den Zugang.

Es sind zivilgesellschaftliche und humanitäre Organisationen, die sich gezwungen sehen, wenigstens eine medizinische Basisversorgung und Beratung für diese Menschen anzubieten. Der Staat kommt seiner völkerrechtlich bindenden Verpflichtung nicht nach, den Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle Menschen im Land diskriminierungsfrei zu sichern (Art. 12 des UN-Sozialpakts). Entsprechend hat der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Oktober 2017 eine diesbezügliche Rückfrage an die Bundesregierung gestellt (E/C.12/DEUQ/6).

Mit diesem Schreiben fordern wir Sie auf, gemeinsam mit anderen Bundesressorts und im Austausch mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen, eine Strategie zu entwickeln, damit alle in Deutschland lebenden Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommen. Es existieren – z.T. bereits seit vielen Jahren – konkrete Vorschläge für Gesetzesänderungen. Dazu gehören:  

  • Eine Ausnahme von der Übermittlungspflicht für Sozialämter, damit Menschen ohne Papiere nicht bei der Ausländerbehörde gemeldet werden müssen, wenn sie ihren gesetzlich verbrieften Anspruch geltend machen und einen Krankenschein bekommen möchten.
  • Ausweitung des Leistungsumfangs für alle in Deutschland lebenden Menschen auf das Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung.
  • Abschaffung des Gesetzes, das seit Anfang 2017 erwerbslose EUBürger und Bürgerinnen unter bestimmten Bedingungen komplett vom Leistungsbezug ausschließt.
  • Senkung des Mindestbeitragssatzes zur GKV für Selbständige

Zu einer umfassenden Strategie der Bundesregierung gehört außerdem die Sicherstellung und Finanzierung von Sprachmittlung für Arztbesuche sowie die Bereitstellung von verständlichen Informationen für Patienten und Patientinnen  und Gesundheitspersonal.

Die Sicherung einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für alle ist genuine Aufgabe des Staates und darf nicht in den Händen ehrenamtlich tätiger, spendenfinanzierter Organisationen liegen.

Wir bitten Sie zeitnah um ein Gespräch, um Ihnen die Problematik und die aus unserer Sicht notwendigen Maßnahmen vorzustellen.

Mit herzlichem Dank im Voraus und freundlichen Grüßen,

Die Unterzeichnenden

Kontakt

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Andrea Käthner-Isemeyer
Leitung der Abteilung Soziales
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Katrin Schwabow
Bereichsleitung Kostensatzprojekte

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