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Gedanken zum Jahreswechsel 2020

Es ist die Zeit angekommen – auch für Humanist_innen

Ein Beitrag von Dr. Bruno Osuch

Natürlich feiern auch die meisten der gut zwei Drittel Religionsfreien in Berlin "ihre" Weihnachten – im Kreise ihrer Familien und Freunde, mit Geschenken und Lichtern, beim gemeinsamen Gänsebraten und mit einem Nadelbaum oder grünen Tannenzweigen – übrigens einem der ältesten "heidnischen" Symbole  der längsten Nacht des Jahres. Doch während gläubige Christ_innen sich auf das Geburtsfest des Sohnes ihres Gottes freuen, hoffen viele der organisierten Humanist_innen zum Teil auf ganz andere Dinge: dass schwerkranke Menschen in Krankenhäusern, für die der Gottesglaube keinen Trost bedeutet, eine adäquate humanistische "Krankenhausseelsorge" in Anspruch nehmen können; dass in Ergänzung zum religiösen Wort zum Sonntag demnächst auch humanistische Sprecher_innen zu Wort kommen können; und dass schließlich auch die Lehrer_innen der 66.000 Lebenskundekinder bald eine akademische Ausbildung erhalten können, wie das bei den Religionskolleg_innen schon immer selbstverständlich ist.

Zwar ist der Humanistische Verband als Weltanschauungsgemeinschaft nach Grundgesetz und Berliner Landesverfassung den Kirchen gleichgestellt. Und er ist seit gut einem Jahr auch Körperschaft des öffentlichen Rechts, aber von einer wirklichen Gleichbehandlung kann noch längst keine Rede sein. Sobald ein schlimmes Unglück passiert, werden christliche Seelsorger_innen gerufen. Das ist gut und richtig. Aber wo bleiben die humanistischen Lebensberater_innen?

Bei fast allen großen Gedenkveranstaltungen sind religiöse Vertreter_innen wie selbstverständlich dabei - oder sie finden gleich in einem christlichen Gotteshaus statt. Als ich diesen Umstand vor wenigen Tagen auf einer Veranstaltung der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zum "Dialog der Religionen" kritisch hinterfragte, blickte ich in manch staunendes Gesicht. Immerhin wurde bei einem der Gedenken an das Breitscheidplatz-Attentat auch schon einmal ein organisierter Humanist einbezogen.

Dabei hat die humanistische Fest- und Feierkultur eine lange Tradition. JugendFEIERn gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts. Heute nehmen an diesem Ritual des symbolischen Erwachsenenwerdens in Berlin und Brandenburg weit mehr Jugendliche als an der evangelischen Konfirmation teil. Und die Vorgängerorganisation der Humanist_innen, der Deutsche Freidenker-Verband, wurde 1905 als "Verein der Freidenker für Feuerbestattung" gegründet. Seitdem gehören humanistische Bestattungen zu den zentralen Angeboten. Heute hat unser Verband immerhin auch einen eigenen Bestattungshain am Waldfriedhof in Zehlendorf.

Deshalb hat der Kultursenator Klaus Lederer bei der Verleihung der Körperschaftsrechte darauf hingewiesen, dass man die Bedeutung einer solchen Organisation vor allem auch an ihrem gesellschaftlichen Einfluss messen sollte. Im Zuge von Individualisierung und Säkularisierung organisierten sich religionsfreie Menschen nicht automatisch neu. Aber sie nehmen die humanistischen Dienstleistungen gerne in Anspruch. Und das sind in Berlin schon jetzt pro Jahr mehrere Hunderttausend. Dazu gehören Hospize, Sozialstationen, Schwangerschaftsberatungen, Jugendzentren oder Kitas. Ein ganz neues Feld sind humanistische "Willkommensfeiern" für Neugeborene. Ein Pilotprojekt startet im kommenden Jahr im Prenzlauer Berg. Aber während jeder Täufling bereits als Kirchenmitglied zählt, können junge Menschen in unseren Verband erst mit ihrer Religionsmündigkeit eintreten.

Es ist die Zeit angekommen, dass es, neben den gut 20 theologischen Lehrstühlen an der Humboldt-Universität, bald auch eine eigene Humanistische Hochschule geben kann. Positive Signale für dieses Projekt kommen aus allen drei Regierungsparteien. Und der wissenschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Stefan Förster hat seine ausdrückliche Unterstützung angeboten.

Es ist die Zeit angekommen, dass die Humanist_innen mit dem Senat von Berlin einen Staatsvertrag abschließen können, in dem z.B. auch ein Sitz im Rundfunkrat fixiert ist. Ein entsprechender Antrag ist in diesen Tagen auf den Weg gebracht worden. Der Regierende Bürgermeister kommentierte das Anliegen mir gegenüber am Rande eines SPD-Festes mit den Worten "da wollt Ihr aber dicke Bretter bohren".

Der Landesparteitag der Berliner SPD beschloss in diesem Jahr, den Parteivorstand aufzufordern, in Anlehnung an die bestehenden Arbeitskreise für die christliche, jüdische und muslimische Weltanschauung auch einen Arbeitskreis für Säkulare und Humanist_innen zu ermöglichen. Die Antwort des Generalsekretärs in einem Gespräch mit uns Humanist_innen vor wenigen Wochen war, es sei dafür zurzeit kein Geld da. Außerdem gebe es schon zu viele Arbeitskreise. So manch hat vielleicht vergessen, dass diese Partei einst von erklärten Freidenker_innen gegründet wurde und übersieht, dass sich heute immer mehr Menschen gerade in den Ballungsgebieten unseres Landes an einer Ethik ohne Gott orientieren. Dabei ist ihr Wertekanon kaum anders als bei den meisten gläubigen Menschen – der Unterschied liegt vor allem in der Begründungsperspektive.

Auch für Humanist_innen bedeutet die Zeit vor und um Weihnachten – Frieden und Gemeinschaft, Rückbesinnung auf das was zählt, an die anderen denken, Dialog und Toleranz, und das Bündnis mit allen, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten – selbstverständlich auch und gerade mit religiösen Menschen.

Bruno Osuch war bis 2015 Präsident des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg. Nach einem dreijährigen Lehrauftrag zum Aufbau des Ethik-Unterrichtes an der Deutschen Schule in Santiago de Chile hat er seit Kurzem die neu geschaffene Stelle eines Beauftragten für Regierungen, Parteien und Verbände bei uns inne.

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